Folgende klinische Beobachtung ist in Übereinstimmung mit den tierexperimentellen Daten:
Patienten, welche an Syringomyelie erkrankt sind, leiden an einem segmentalen Defizit der Temperatur- und Schmerzwahrnehmung. Diese zwei Sinnesqualitäten werden über den trct. spinothalamicus geleitet. Dieses Defizit entsteht, weil die Syringomyelie die comissura anterior im Rückenmark in Mitleidenschaft zieht, innerhalb derer die Fasern des trct. spinothalamicus auf die Gegenseite kreuzen. Bei diesen Patienten kann mit Akupunkturstimulation im betroffenen Segment entweder kein oder nur ein schwaches DeQi-Gefühl ausgelöst werden.
Im Gegensatz dazu kann bei Patienten mit Tabes dorsalis, bei denen die Hinterstränge betroffen sind, ohne weiteres ein DeQi-Gefühl ausgelöst werden Lit 134. Da das DeQi-Gefühl mit dem Auftreten der analgetischen Wirkung gemäss heutigem Wissensstand untrennbar verbunden ist, kann man aus diesen Befunden schliessen, dass die für die Akupunkturanalgesie wichtigen Afferenzen nicht in den Hintersträngen, sondern überwiegend im tractus spinothalamicus verlaufen.
Auch Läsionen des deszendierenden funiculus dorsolateralis blockieren die analgetische Akupunkturwirkung Lit 45. Dieser funiculus wurde bereits bei der endogenen Schmerzmodulation (vgl. Kap.2.g.) erwähnt. Offensichtlich spielt er auch in der Akpunkturanalgesie eine wichtige Rolle. Die Axone des funiculus dorsolateralis entstammen grösstenteils Neuronen, die zu dem im Hirnstamm gelegenen ncl. raphe magnus gehören Lit 31. Sie sind synaptisch mit Neuronen in der grauen Substanz des Hinterhorns verbunden, wo sie die Entladung von nozizeptiven Neuronen hemmen Lit 55. Tierexperimentelle und klinische Untersuchungen sprechen dafür, dass diese Hemmung teilweise über endogene Opioide des Rückenmarks vermittelt wird Fig. 82 Info 41 Lit 45, 42, 97.
Hier wird klar, dass die Akupunkturanalgesie - mindestens teilweise - über dieselben Strukturen und Mechanismen vermittelt wird wie die endogene Schmerzmodulation.