Im Hirnstamm ist der ventromedial in der medulla oblongata gelegene ncl. raphe magnus für die Entstehung der Akupunkturanalgesie von zentraler Bedeutung Lit 16, 45, 113. Monoaminerge deszendierende Neuronen, die dem ncl. raphe magnus entstammen, sind über den funiculus dorsolateralis mit dem Hinterhorn des Rückenmarks verbunden. Die Bedeutung des funiculus dorsolateralis für die Akupunkturanalgesie wurde bereits erwähnt (vgl. Kap.7.e. Rückenmark).

Fig. 84 Von den Raphe-Kernen und zwar insbesondere vom ncl. raphe dorsalis entspringen auch aszendierende serotoninerge Bahnen. Der ncl. raphe dorsalis liegt rostral vom ncl. raphe magnus, im Bereich des Mittelhirns. Die hauptsächlich von ihm ausgehenden aszendierenden Bahnen ziehen ins periaquäduktale Grau und über das mediale Vorderhirnbündel zu Kernen des Thalamus, des Hypothalamus und des limbischen Systems Lit 10.

Aus verschiedenen Untersuchungen geht hervor, dass Akupunktur über aszendierende serotoninerge Nervenfaserzüge, welche vom ncl. raphe dorsalis ausgehen, antinozizeptiv wirkt Lit 37. Es gibt Hinweise dafür, dass diese Faserzüge über das periaquäduktale Grau zu den nozizeptiven Neuronen des ncl. parafascicularis thalami ziehen Lit 45.

Fig. 85 Neben den Raphe-Kernen spielt auch der locus coeruleus eine wichtige Rolle in der Akupunkturanalgesie. Der locus coeruleus liegt unter dem Boden der rostralen Rautengrube und stellt die grösste Ansammlung noradrenerger Zellen im Zentralnervensystem dar Lit 9. Von ihm steigen noradrenerge Efferenzen zu Thalamus, Hypothalamus, ncl. habenulares, limbischem System und Kortex auf. Deszendierende Projektionen ziehen zu sensorischen Verbindungskernen im Hirnstamm sowie über den Vorderseitenstrang auf die graue Substanz des Rückenmarks Lit 9. Über eine Aktivierung der vom locus coeruleus aufsteigenden Neuronen wird die Akupunkturanalgesie abgeschwächt, über eine Aktivierung der absteigenden Nervenbahnen wird die analgetische Wirkung der Akupunktur hingegen verstärkt Lit 134 Info 42. Dies ist vereinbar mit den Ergebnissen aus den bereits besprochenen Untersuchungen (vgl. Kap.7.d.) über den Neurotransmitter Noradrenalin.

Fig. 86 Bei einigen Analgesieformen spielt die graue Substanz um den aquäductus cerebri im Mittelhirn, das sog. periaquäduktale Grau, eine wichtige Rolle. So z.B. bei der morphininduzierten Analgesie, bei der Analgesie durch direkte elektrische Hirnstimulation, aber auch bei der Akupunkturanalgesie Lit 45. Das periaquäduktale Grau erhält u.a. Afferenzen aus dem Rückenmark, den Raphe-Kernen, dem Hypothalamus Lit 30 und dem limbischen System Lit 9. Umgekehrt entspringen dem periaquäduktalen Grau unter anderem aufsteigende Faserzüge zum limbischen System Lit 45 und zum Hypothalamus Lit 60 sowie absteigende Bahnen vor allem zu den Raphe-Kernen Lit 31. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass durch Akupunkturstimulation die Neuronenaktivität des ncl. raphe magnus über das periaquäduktale Grau moduliert wird. Dabei wird die Spontanaktivität von Neuronen im ncl. raphe magnus gesteigert und die nozizeptiven Antworten werden gehemmt Lit 45. Das periaquäduktale Grau und die Raphe-Kerne werden deshalb als funktionelle Einheit betrachtet, über welche deszendierend die Schmerztransmission auf Ebene des Rückenmarks gehemmt wird Lit 45 und aszendierend die Entladungsfrequenz nozizeptiver Neuronen des ncl. parafascicularis thalami vermindert wird. Das periaquäduktale Grau ist reich an Opioidrezeptoren und opioidhaltigen Nervenstrukturen. Verschiedene Untersuchungen sprechen dafür, dass im periaquäduktalen Grau die endogenen Opioide beta-Endorphin und Enkephalin an der Vermittlung der akupunkturinduzierten Analgesie beteiligt sind Lit 45 Info 43.