Im Zusammenhang mit Akupunkturstudien verdienen die drei folgenden Problemkreise besondere Aufmerksamkeit:

Wahl einer geeigneten Kontrollbehandlung

Zahlreiche unterschiedliche Interventionsformen werden in Akupunkturstudien als Kontrollbehandlungen eingesetzt. Die geeignetste Form bleibt allerdings nach wie vor umstritten. Wichtig ist, dass die psychologische Beeinflussungskraft der Kontrollbehandlung derjenigen der Verum-Behandlung äquivalent ist oder anders gesagt, dass die beiden Behandlungsmethoden denselben Plazeboeffekt besitzen. Da die Grösse des Plazeboeffekts massgeblich vom Glauben des Probanden an die Wirksamkeit einer Methode abhängt Lit 131, 90, scheint eine "unbehandelte" Kontrollgruppe eine wenig sinnvolle Alternative zu sein. Es sei denn, es handle sich um eine Studie, bei welcher die Probanden der Verum- und Kontrollgruppe nicht bei Bewusstsein sind Fig. 47a. Hierbei ist allerdings ungekärt, in wieweit die Narkose als Eingriff in die Homöostase des Körpers mit Applikation von zentral und peripher stark wirksamen Substanzen einen unter Normalbedingungen potentiell wirksamen Stimulus der Akupunktur stört oder überdeckt Lit 92. Zudem kann der Proband im bewusstlosen Zustand nicht Auskunft darüber geben, ob das Qi erreicht worden ist Info 19. Das Erreichen des Qi ist sowohl in der traditionellen Akupunktur als auch in der Akupunkturanalgesie ein unabdingbares Begleitzeichen einer wirksamen Nadelung Lit 82, 126.
Fig. 47b Allerdings besteht die Möglichkeit, dass in der Kontrollgruppe als Plazebobehandlung eine scheinbare Akupunktur ohne Setzen der Nadeln nach Scheinlokalanästhesie durchgeführt würde Lit 92. Allerdings dürften die verwendeten Akupunkturpunkte dann für den Probanden nicht einsehbar sein. Geht man allerdings davon aus, dass die Informationsübertragung aus dem Akupunkturpunkt über sensible Nervenstrukturen im Bereiche des Akupunkturpunktes übermittelt wird, so würde in der Verum-Gruppe durch das Lokalanästhetikum die Informationsübertragung aus dem Akupunkturpunkt unterbrochen.
Fig. 47c Eine andere, häufig verwendete Behandlungsmethode in der Kontrollgruppe ist die im englischen Sprachgebrauch sogenannte Sham-Acupuncture, zu deutsch Schein-Akupunktur. Diese beinhaltet das Einstechen von Akupunkturnadeln an Körperstellen, welche gemäss Lehrmeinung als unwirksam im Hinblick auf das Behandlungsziel gelten. Die Insertionstiefe und die Gewebestimulation unterscheidt sich nicht von derjenigen bei der echten Akupunktur, welche in der Verum-Gruppe angewendet wird. Wenn Schein-Akupunktur als Kontrollbehandlung eingesetzt wird, liegt der grösste Nachteil darin, dass eine Art "therapeutische Restaktivität" durch die eingestochene Nadel und Gewebestimulation bei der Scheinakupunktur nicht ausgeschlossen werden kann Lit 92, 67. Anders gesagt, ein Vergleich des Ergebnis zwischen der Verum- und der Kontroll-Gruppe liefert in diesem Fall nur Informationen über die Rolle der Lokalisation des gestochenen Punktes. Dies bedeutet zwar nicht, dass der Akupunktur dadurch keine spezifische Wirkung zugeschrieben werden könnte, sondern es wird dadurch einfach etwas schwieriger, einen allfällig vorhandenen signifikanten Unterschied zwischen dem Ergebnis der Kontrollbehandlung und demjenigen der Verum-Behandlung zu erfassen. Hierfür müsste folglich eine relativ grosse Probandenzahl angestrebt werden Lit 67. Wenn Schein-Akupunktur als Kontrollbehandlung eingesetzt wird, muss ferner darauf geachtet werden, dass die Akupunkturnadeln bei Probanden mit vorgängiger Akupunkturerfahrung an Körperstellen eingestochen werden, wo sich das Qi erreichen lässt. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Proband die Schein-Akupunktur am fehlenden DeQi-Gefühl als Kontrollbehandlung erkennt. Ähnliches gilt auch für die Minimal-Acupuncture, eine weitere mögliche Behandlungsform für die Kontrollgruppe Fig. 47d. Bei dieser zu deutsch genannten Minimal-Akupunktur werden die Akupunkturnadeln ebenfalls an Körperstellen inseriert, die nach Lehrmeinung als unwirksam im Hinblick auf das Behandlungsziel gelten. Die Nadeln werden allerdings nur wenige Millimeter tief eingestochen und das Gewebe wird nur sehr schwach stimuliert, wenn überhaupt. Hier kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass ein Proband mit bereits vorgängiger Akupunkturerfahrung die Kontrollbehandlung anhand des fehlenden DeQi-Gefühls von der Verum-Behandlung unterscheiden kann.
Fig. 47e Eine andere Möglichkeit, das Plazeboproblem zu umgehen, besteht darin, in der Kontrollgruppe ein Verfahren anzuwenden, für welches bessere Plazebomodelle existieren. Dies ist beispielsweise bei der Laser-Akupunktur (vgl. Kap. 1.c. Laserakupunktur) der Fall. Hier kann der Proband nicht aufgrund einer sensiblen Empfindung zwischen eingeschaltetem und ausgeschaltetem Gerät unterscheiden. Allerdings stellt sich hier die Frage der äquivalenten Glaubwürdigkeit, insbesondere da eine invasive Verumintervention mit einer nichtinvasiven Kontrollbehandlung verglichen wird. Mithilfe der von Borkovec und Nau geschaffenen Skala Info 17 besteht allerdings die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit einzuschätzen und damit die Eignung einer Behandlung als Kontrollbehandlung festzustellen.
Fig. 47f Nicht zuletzt sei erwähnt, dass Tierversuche in Bezug auf das Plazeboproblem einen Vorteil bieten: Den Tieren ist es - nach gängiger Auffassung jedenfalls - nicht möglich, aufgrund von verbaler oder nichtverbaler Kommunikation zwischen Verum- und Kontrollbehandlung zu unterscheiden.

Die doppelblinde Versuchssituation

Fig. 46a In einer doppelblinden Versuchssituation darf weder der Proband noch der Untersuchende Kenntnis von der Zugehörigkeit des Probanden zur Verum- oder Kontrollgruppe haben. Doppelblinde Versuchsbedingungen können bei der Akupunktur wie auch bei den meisten anderen erlernten physikalischen Interventionen nicht eingehalten werden.
Einerseits liegt das Problem auf der Seite des Patienten: eine geeignete Kontrollbehandlung müsste so gewählt werden, dass der Proband nicht zu unterscheiden vermag, ob er mit echter Akupunktur oder mit einer Scheinmethode behandelt wird. Denn der Glaube des Probanden an die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Methode kann das Versuchsergebnis beeinflussen.
Andererseits liegt das Problem auf der Seite des Behandelnden: einer auf Akupunktur ausgebildeten Person ist es möglich zu unterscheiden, ob sie mit echter Akupunktur oder mit einem Scheinverfahren behandelt. Und der Glaube des Behandelnden an die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Methode kann das Versuchsergebnis ebenfalls beeinflussen. Hier besteht die Möglichkeit, dass beispielsweise diejenigen Körperstellen, an denen die Akupunkturnadeln eingestochen werden sollen, von einer ausgebildeten Person markiert werden, die Nadeln jedoch von einer nicht ausgebildeten Person inseriert werden. Der Nachteil liegt bei dieser Methode darin, dass eine nicht ausgebildete Person, auch wenn sie die verschiedenen Stichtechniken beherrscht, nicht unterscheiden kann, ob das Qi erreicht worden ist oder nicht. Das DeQi wird als unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Nadelung betrachtet.
Um das Problem auf der Seite des Untersuchenden zu umgehen, besteht die Möglichkeit, dass die Messergebnisse auf unabhängige Weise abgelesen bzw. ausgewertet werden. Das heisst, dass diejenige Person, welche Messergebnisse abliest und auswertet, keine Kenntnis darüber hat, ob der Proband zur Verum- oder Kontrollgruppe gehört. Wird zusätzlich eine geeignete Scheinbehandlung gewählt, bei welcher der Proband nicht zu unterscheiden vermag, ob er zur Verum- oder Kontrollgruppe gehört, kommt dieses Vorgehen der doppelblinden Versuchssituation recht nahe. Es wird deshalb häufig als "pseudo-doppelblind" bezeichnet Fig. 46b.

Keine Standard-Akupunkturtechnik

Fig. 45a Da es die Akupunktur als standardisiertes Verfahren nicht gibt, müssen gewisse Informationen über die in einer Untersuchung angewandte Akupunkturtechnik gegeben sein:

Zur Beurteilung einer Studie im Bereich der traditionell chinesischen Akupunktur sind zusätzliche Informationen notwendig Info 20.